Social Media Leitfaden: Kapitel 9 Social Media Marketing = Meinungsforschung 2.0

Schon immer war Meinungsforschung eine wichtige Quelle für öffentliche und private Institutionen. Eine Art Impulsgeber für zukünftige Handlungs-entscheidungen. Für die politischen Parteien etwa ist sie wichtig, um Stimmungen in der Bevölkerung zu messen. Gerade vor wichtigen Ereignissen wie Wahlen werden ständig Daten zur Stimmungslage der Bevölkerung erhoben und veröffentlicht. Für die Parteien und ihre Kandidaten sind diese Erhebungen immens wichtig, zeigen sie ihnen doch an, ob bisherige Strategien greifen und Programme und Köpfe beim Wähler ankommen. Die sogenannte Sonntagsfrage gewinnt in Wahlkampfzeiten ein ganz besonderes Gewicht.

Ebenso wie die Politik ist auch die Wirtschaft ständig auf Daten angewiesen. Meinungsumfragen gehören daher schon seit langem zum unverzichtbaren Marketinginstrumentarium. Über die Verlässlichkeit von Methoden kann man streiten – über die Notwendigkeit Verbraucherstimmungen frühzeitig erkennen zu müssen, nicht. Hiervon hängt die Existenz von Unternehmen, vielleicht sogar von ganzen Wirtschaftszweigen ab.

Die klassischen Verbraucherumfragen auf der Straße sind im Zeitalter des Internet zunehmend durch Onlineumfragen verdrängt worden. Jeder hat schon mal die Erfahrung gemacht, dass bei wiederholt frequentierten Informationsangeboten im Web, Aufforderungen zur Teilnahme an kurzen Umfragen eingeblendet werden. Nicht selten werden sie mit Preisausschreiben verbunden oder kleine Belohnungen ausgelobt, um die Besucher zur Teilnahme zu bewegen. Vorherrschende Methoden sind Multiple-Choice-Verfahren, wo mehrere Antworten zu den jeweiligen Fragen vorgegeben sind und der Befragte nur noch eine Auswahl zu treffen hat. Diese Methode ist besonders effektiv, da zeitsparend. In kurzer Zeit lässt sich eine Vielzahl von Fragen stellen. Ob die Ergebnisse auch wirklich aussagekräftig sind darf bei Zufallsbefragungen bezweifelt werden. Ohnehin sind die Fragen auf eine Zielgruppe beschränkt, nämlich auf die der Besucher des jeweiligen Internetportals. Hauptanliegen des Anbieters ist es herauszufinden, ob sein Angebot beim Besucher ankommt und welche vorgeschlagenen Verbesserungen eventuell gewünscht werden. Kurzum, man möchte wissen wie populär das Angebot ist, wie häufig der Besucher die Seite frequentiert, welche Teile des Angebots genutzt werden und welche nicht, mit dem Ziel die Site weiter zu optimieren. Angaben zu Verbraucher-gewohnheiten des Besuchers sind wichtig, um die Werbeeinblendungen auf der Seite so zielgruppenadäquat wie möglich schalten zu können.

Der Umfrageteilnehmer wird hier in eine überwiegend passive Rolle hineingedrängt. Die angedachten Verbesserungen sind durch den Anbieter bereits vorgegeben.

Angaben zum Alter, Geschlecht, Beruf und Ausbildung lassen jedoch aufgrund der Freiwilligkeit der Angaben nur bedingt Rückschlüsse auf die Soziostruktur der Besucherschaft zu.

Seismographie für Stimmungen im Netz

Unternehmen brauchen jedoch heute mehr als je zuvor verlässliche Seismographen, damit Stimmungen frühzeitig erkannt werden können. Nichts wirkt sich für sie schlimmer aus, als ein schleichender Imageverlust, der zu spät registriert wird. Die klassische Meinungsforschung und Demoskopie hinterlassen hier ein Vakuum, das es zu füllen gilt. Hier können Soziale Netzwerke ausgezeichnete Dienste leisten, denn sie funktionieren wie Seismographen plötzlicher auftretender Stimmungsschwankungen.

Themen und Ereignisse, an die keiner dachte, werden hier früher als anderswo diskutiert, bevor die veröffentlichte Meinung eine öffentliche Diskussion darüber in Gang setzt. Hohe Teilnehmerzahlen sorgen zudem ganz automatisch für eine gewisse Repräsentativität, wenngleich die Mitglieder sozialer Netzwerke überwiegend jüngeren Alters sind. Hier sind kurz- bis mittelfristig jedoch noch erhebliche Verschiebungen zu erwarten.

Ein plakatives Beispiel, wie Stimmungen sich entwickeln können,  zeigt die “Dienstwagenaffäre” der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die sich kürzlich zutrug. Der Diebstahl ihres Dienstwagens während eines Urlaubsaufenthalts im spanischen Alicante beherrschte jüngst die Schlagzeilen der Presse in der an Nachrichten armen Sommerzeit. Bevor Details hierzu in den Medien so richtig breitgetreten wurden, hatte der bekannte deutsche Autovermieter Sixt dieses Thema für sich entdeckt und band das Konterfrei von Ulla Schmidt in Windeseile in eine Werbekampagne ein, die darüber informierte, dass man auch in Alicante Sixt-Mietwagen sogar mit Diebstahlversicherung anmieten kann. Was auf den ersten Blick vielleicht als Gag mit schadenfrohem Unterton erscheint, hatte auf den Social Media Plattformen ein gewaltiges Interesse ausgelöst. Weblogs, welche Bilder von der Anzeigenkampagne verlinkten und die Story publizierten, verzeichneten einen enormen Anstieg bei den Besucherzahlen. Die Bereitschaft Beiträge hierüber zu verlinken war entsprechend hoch, sodass diese Geschichte als Linkbait von sich reden machte. Zum Erfolg trugen auch ganz erheblich die Social Media bei, denn allerorten wurde hierüber geplaudert oder getwittert.

Für das Autovermietunternehmen, war die Aktion in jeder Hinsicht erfolgreich und die Resonanz hierauf eine Bestätigung für das Marketing, dass man den Nerv der Zeit getroffen hatte. Die Story war einfach gut und passte ins Konzept.

Für die Politik hingegen ein Warnsignal in Bezug auf die Sensibilität potenzieller Wähler, denn die Partei der Gesundheitsministerin geriet durch den Vorfall arg ins Trudeln zumal gerade Wahlkampf war. Was sich hieran gut zeigt ist, dass Milliarden schwere Bankenrettungen, die infolge unzureichender Aufsicht nötig wurden bei der Wahlbevölkerung kaum ins Gewicht fallen. Das Verhalten eines Politikers hingegen, das den Anschein von Verschwendung hat, hingegen schon. Zumal die Gesundheitsministerin einer Partei angehört, die ebenso wie andere jahrelang Sparsamkeit predigte und von der Bevölkerung Opfer abverlangte. Da hilft es nichts, dass die Politikerin vielleicht völlig korrekt gehandelt hatte. Es passte einfach nicht in die aktuelle Großwetterlage der politischen Stimmungen, wenngleich die Kosten für den Steuerzahler – vergleicht man sie mit der HRE-Rettung – verschwindend gering waren.

Gerade für die Politik könen die Social Media als Seismograph fungieren. Vor dem Hintergrund des allgemeinen politischen Desinteresses liegt hier eine große Chance für die politischen Parteien. Dies setzt allerdings wie bei allen erfolgreichen sozialen Netzwerkern die Bereitschaft zum Zuhören voraus, die nicht nur der Politik manchmal abhanden gekommen zu sein scheint.

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