Social Media Leitfaden: Kapitel 6 Beispiele für erfolgreiche Virale Kampagnen

6.1 Johnnie Walker

Ein “Klassiker” des viralen Marketings ist das Moorhuhn, ein kostenloses Computerspiel aus dem Jahr 1999, welches von der Firma Johnnie Walker als Marketing-Instrument eingesetzt wurde. Auf der Internetseite des Spirituosenherstellers ließ sich das Spiel kostenlos herunterladen und verbreitete sich rasend schnell im Internet. Innerhalb kürzester Zeit erreichte das Spiel eine enorme Popularität, die sich auch auf die Marke übertrug. Entwickelt wurde das Spiel für Johnnie Walker von der niederländischen Firma Witan im Auftrag der Hamburger Phenomedia AG.

Moorhuhnjagden waren nicht nur im privaten Umfeld der Renner, sondern entwickelten sich in Deutschland zum ernsthaften Problem innerhalb betrieblicher Abläufe, da eine große Zahl von Büroangestellten sich die Zeit damit vertrieb.

Aus dem Moorhuhn entwickelte sich bis heute eine 34-teilige Spielreihe und eine Vielzahl weiterer Merchandiseartikel, Zeichentrickfilmserien und Comics. Durch das Moorhuhn wurde einer breiten Öffentlichkeit erstmals in großem Stil vor Augen geführt, welche enorme Potenzial für virales Marketing im Internet schlummert. Social Media im heutigen Sinne waren seinerzeit noch unbekannt. Die Informationen über die Verfügbarkeit des Spiels verbreiteten sich über Userforen, und –groups, sowie über Versand und Weiterleitung von E-Mails.

Der sensationelle Erfolg von Moorhuhn rief später Firmen wie der Computer Channel Quam, Bild und Haribo auf den Plan, die mit Nachfolgern daran anzuknüpfen versuchten.

6.2 Microsoft

Dass selbst ein marktbeherrschender Softwaregigant wie Microsoft Social Media nutzt, um sich seine neue Office Strategie unters Volk zu bringen, dürften wohl viele überrascht haben. Denn schließlich hat der Marktführer einen extrem hohen Bekanntheitsgrad. Wozu also Marketing 2.0? Einen rekordverdächtiger Sprung von einer Wasserrutschenschanzen bringt man nicht so ohne Weiteres mit Microsoft in Verbindung. Dieser Sprung ist so sensationell und der Stuntman, ein Ingenieur namens Bruno Kammerl, eine frei erfundene Kunstfigur, wie sich später herausgestellt hat. Dieser landet nach Absprung von der Wasserrutschenschanze nach einem über 35 Metern langen Flug punktgenau in einem kleinen Swimmingpool. Unversehrt. Jeder kritische Betrachter sagt sich sofort, dass so etwas eigentlich gar nicht möglich sein kann, vermutet einen videotechnischen Griff in die Trickkiste und sieht sich den Clip noch mehrere Male an, während ihm beim Zusehen immer wieder das Projekt www.megawoosh.com eingeblendet wird. Spätestens nach dem Aufruf der Internetadresse, die auf www.mach-es-machbar.de umleitet gibt es keine Zweifel mehr. “Denkbar. Planbar. Machbar.”, lautet das Motto des Marktführers, der sich damit ganz offiziell als Macher dieser Story um Bruno Kammerl zu erkennen gibt. Der Clip schlug ein wie eine Bombe. Die Aufrufzahlen bei YouTube sind rekordverdächtig.

Das Bemerkenswerte an dieser Story ist die perfekte Rahmeninszenierung, denn die frei erfundene Person Bruno Kammerl ist über Social Media gut vernetzt, besitzt ein Profil in Facebook und sein Ingenieurbüro bei München ist auf einer eigenen Website http://www.projektbuero-kammerl.com vertreten, welche überaus authentisch wirkt.

6.3 Dove

Ein plastisches Beispiel wie virales Marketing funktionieren kann zeigt ein Videoclip von  Dove, einer Pflegemarke des Unilever-Konzerns, der den Clip Evolution auf YouTube einstellte. Im Hauptteil des Clips ist eine natürliche und ungeschminkte Frau mittleren Alters zu sehen, wie man sie täglich beim Einkaufen oder in der U-Bahn antreffen kann. Kleine Fältchen sind ebenso sichtbar wie ein kleiner Pickel. Die Gesamterscheinung der Frau ist somit alles andere als auffällig. Und genau diese schlichte und natürliche Normalität ist das Außergewöhnliche, denn welche Frau würde sich schon auf einem Clip oder Spot verewigen lassen, ohne nach allen Regeln der Kunst zuvor stylen und auf Model trimmen zu lassen.

Und es passiert genau das, was passieren muss. Kosmetikerinnen und Visagisten verändern das Aussehen dieser Frau von Grund auf und verwandeln sie im Handumdrehen in ein werbetaugliches Model. Das Foto, welches man zum Schluss beim Fotoshooting macht, wird professionell und geschickt mit einer Bildbearbeitungssoftware noch weiter optimiert, bis aus der natürlichen und echten Frau ein reines Kunstprodukt wird, das es in Wirklichkeit nicht gibt. Schlussendlich ziert dieses künstliche Wesen großformatige Plakatwände und bewirbt Kosmetikartikel.

Aufgrund der Zeitraffereffekte beim Stylen der Frau und der nachträglichen Bildbearbeitung wirkt das ganze fast absurd. Nur wird diese Absurdität nicht nur von der Kosmetikindustrie einem Millionenpublikum tagtäglich als Normalität und Natürlichkeit verkauft? Der Clip “self-esteem” jedenfalls stellt die vorherrschenden Schönheitsideale in einer Minute und vierzehn Sekunden Spielzeit komplett auf den Kopf. Das ist außergewöhnlich, dass ein Unternehmen für Pflegeprodukte das Schönheitsideal des 21. Jahrhunderts quasi in der Luft zerreißt, indem es die Illusionen entlarvt, welche sich hinter den Werbekonterfeis verbergen.

Auch dieser Videoclip wurde binnen kürzester Zeit zum Renner und millionenfach auf YouTube angesehen. Der große Zuspruch, den Dove für sich verbuchen kann, ist jedoch auch eine Warnung an die gesamte Branche, bisherige Konzepte für die Bewerbung von Produkten der Kosmetikindustrie zu hinterfragen. Entsteht womöglich eine völlig neuer Trend, welcher gründlich aufräumt mit der noch alles beherrschenden Modelillusion?

6.4 Barack Obama

Die Wahlkampagne des einstigen demokratischen Präsidentschaftskandidaten und heutigen US-Präsidenten Barack Obama in 2008 stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Nie zuvor hatte ein Kandidat einer politischen Partei sich die Social Media in diesem Umfang nutzbar gemacht. Seit bekannt wurde, dass der Microblogging-Service Twitter maßgeblichen Anteil am Erfolg des phänomenalen Wahlerfolgs im November 2008 hatte, wird auch von den konventionellen Medien die Frage nach der Rolle des Internet im Allgemeinen und der Social Media Plattformen im Besonderen offen diskutiert.

Der Anschauung halber seien noch einmal die wichtigsten Fakten bezüglich der Social Media Präsenz von Obamas Election Campaign 2008 zusammengefasst. Die Anhänger Obamas waren in insgesamt über 15 sozialen Netzwerken aktiv. Seine zentrale Videobotschaft “Yes we can”, die auch das Motto seines Wahlkampfs war, wurde als Videoclip auf YouTube über 14 Millionen mal angesehen. Wieviele Tweets auf Twitter abgesetzt wurden ist nicht genau bekannt, es dürften jedoch mehrere Millionen sein. Allein bei seiner Vereidigung im Januar 2009 wurden 5000 Tweets pro Minute gepostet. Unumstritten ist, dass die sagenhafte Spendensumme in Höhe von 6,5 Millionen Dollar auf die Aktivitäten in den Social Media zu verdanken ist.

Sicherlich begünstigten auch andere Faktoren den fulminanten Wahlsieg. Die massiv gesunkene Popularität seines Amtsvorgängers George W. Bush dürfte ebenso dazu beigetragen haben, wie der Wunsch nach entschlossener Lösung der drängenden Probleme, die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verursacht wurden. Die damit verbundenen Hoffnungen nach einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit kamen in den medialen Strategien zum Ausdruck. “Yes we can”, lautete die zentrale Botschaft und der Musikvideoclip auf YouTube zeigt Menschen und Musiker aller Hautfarben, welche die Wahlkampfslogans singen und sprechen. Begleitend werden Mitschnitte von Barack Obama’s Reden eingeblendet.

Bemerkenswert ist, dass der Clip in schwarz-weiß gedreht wurde. Die zentralen Botschaften werden über das viereinhalb Minuten lange Video verstreut eingeblendet. “Yes we can” steht neben “Change” und “Hope”. Die einzige Farbe im Clip ist rot und erst ganz zum Schluss zu sehen, als sich das in weißen Lettern eingeblendete Wort “HOPE” in ein knallrotes “VOTE” verwandelt. Damit endet der Clip.

Das Erfolgsrezept dieses Videos liegt auf der Hand. Es ist zum einen die Musik, welche viele Betrachter vereint und die Stimmungen, welche durch die Bilder transportiert werden. Professionell bis ins Detail vermittelt das Video eine Aufbruchstimmung und signalisiert breiten Bevölkerungsschichten den baldigen Anbruch besserer Zeiten im krisengeplagten Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Spätestens seit diesem grandiosen Erfolg wird auch Politikern in anderen Staaten immer mehr klar, dass die Internetgemeinde im Allgemeinen und die Social Media im Besonderen bei zukünftigen Wahlen eine immer wichtigere Rolle spielen werden, an denen kein Politiker und keine Partei mehr vorbeikommt.

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