Im Gegensatz zu den USA und anderen Ländern, wo Social Media Nutzung im Marketing sehr weit fortgeschritten ist, gibt es in Deutschland immer noch große Zurückhaltung bei der Nutzung der neuen Medien. Die Diskussionen unter Fachleuten wie Marketing-Managern, Unternehmensberatern oder Medienexperten zur zukünftigen Nutzung der Social Media wird entsprechend kontrovers geführt.
Einig sind sich die meisten darin, dass Social Media nicht ignoriert werden dürfen, obgleich der Brustton der Überzeugung bei vielen noch fehlt. Dies hat unterschiedliche Ursachen. Zum einen ist es das Komplexitätsproblem, das viele irritiert. Bisher war man es gewohnt über die vertrauten Kommunikationskanäle Botschaften an viele Adressaten zu senden. Die Resonanz darauf wurde abgewartet, analysiert und die Erkenntnisse flossen ein in künftige Kampagnen. Kurz, man war die 1:N-Kommunukation gewohnt. In den Social Media herrschen jedoch N:N-Beziehungen unter den Mitgliedern.
Das Suchen und Finden von Botschaftsmultiplikatoren, also solchen Mitgliedern, die stark engagiert sind, erscheint vielen ungewohnt und schnelle Erfolge, die messbar sind, ungewiss. Man klammert sich daher an Vertrautes und sieht die Social Media lediglich als Ergänzung im bestehenden Marketingmix, als zusätzlichen Kommunikationskanal.
Eine andere Hemmschwelle stellt bei vielen das Heraustreten aus der Anonymität der bisherigen Unternehmenskommunikation dar. Der Hersteller von Tiefkühlkost kann nun mal nicht in einer Gruppendiskussion über Ernährungsfragen ausschließlich die eigenen Produkte als kulinarisches Nonplusultra preisen, die täglich auf den Tisch gebracht werden sollten. Das wäre unrealistisch und unglaubwürdig. Der Mitarbeiter jedoch, der davon erzählt, dass er selbst wieder Gemüse und Obst im Garten anbaut und Tipps abgibt, wie die Aufzucht von Tomaten und Zucchini am Besten gelingt, ist ein gefragter Diskussionsteilnehmer.
Diese neuen Denkansätze, die der natürlichen Kommunikation entspringen müssen erst wieder von denen erlernt werden, die Kommunikation ausschließlich aus dem Blickwinkel der Kundenakquisition zu betrachten gewohnt waren. Sie müssen lernen, dass es in den Social Media nicht darum geht gezielt nach neuen Kunden zu suchen, sondern sich von potenziellen Kunden finden zu lassen. Dies gelingt umso besser, je mehr man sich als Mitglied engagiert und konstruktive Beiträge und Inhalte für andere Mitglieder im sozialen Netzwerk bereitstellt.
Ein gutes Beispiel dafür wie das “Finden” funktionieren kann ist das Personal Recruiting über Soziale Netzwerke. Die Unternehmen nutzen es verstärkt, um nach geeigneten Kandidaten Ausschau zu halten.
Auch die Onlinehändler planen ihre Aktivitäten im Social Media Marketing auszubauen. Einer Umfrage im Auftrag der Internetworld 2009 zufolge, gaben 50 % der Händler an diese Kommunikationskanäle verstärkt nutzen zu wollen. Dem stehen jedoch ebenfalls 50 % gegenüber, die gar keine Aktivitäten planen oder noch unentschlossen sind.
Dazu ist zu sagen, dass hier weniger die Sozialen Netwerke, sondern eher noch Foren und Blogs genutzt werden sollen. Die genauen Ursachen für die Zurückhaltung in Deutschland sind noch nicht erforscht. Einer der Gründe dürfte jedoch die vorherrschend starke Fixierung auf die Suchmaschinen sein. Noch immer gilt ein gutes Ranking und eine gute Positionierung in den Ergebnislisten der Suchmaschinen als ausschließliche Erfolgsgarantie im Onlinebusiness. Dabei wird vergessen, dass immer mehr Suchvorgänge über die Social Media laufen, sodass einige Protagonisten sogar prophezeien, dass diese den Suchmaschinen eines Tages den Rang ablaufen werden.
Bei den Marktforschern haben die Social Media bislang lediglich eine komplementäre Funktion zur klassischen Verbraucherbefragung. Wünsche und Bedürfnisse von Zielgruppen über die Sozialen Netzwerke zu erfahren wird jedoch noch nicht als komplette Alternative gesehen, sondern vielmehr auch unter Aspekten der Kosteneinsparung betrieben.
Bekannt ist, dass große Konzerne in Deutschland sich bislang beim Engagement in Social Networks noch zurückhalten. Eine Ausnahme bildet Vodafone. Der Mobilfunkkonzern betreibt nicht nur einen Blog, sondern spricht die Web-Community direkt über Facebook und Twitter an. Ein Engagement in MySpace ist geplant. Damit leistet Vodafone in gewisser Weise Pionierarbeit. Es ist zu erwarten, dass andere sehr bald nachziehen werden.
Viele Unternehmen haben einfach Angst davor, dass über die neuen Kommunikationskanäle geheime oder falsche Informationen unkontrolliert an die Öffentlichkeit dringen. Natürlich kann so etwas passieren, nur dieser Informationen werden auch ohne Beteiligung der Betroffenen über die Sozialen Netzwerke kommuniziert. Der Nachteil, der den Unternehmen dann entsteht: Sie können nicht rechtzeitig reagieren, sondern äußern sich oft erst ein oder zwei Tage später in offiziellen PR-Statements dazu. In den Social Media ist das eine gefühlte Ewigkeit. Man kann es daher nicht oft genug betonen: Wer Kommunikation beeinflussen will muss ein Teil von ihr sein.
Social Media werden von Unternehmen wahrgenommen, aber oft nicht verstanden
So hatte kürzlich ein Fehler im Onlineangebot des Versandhändlers Otto eine gewaltiges Echo in den Social Media gefunden, als ein Notebook für 29 Euro angeboten wurde. Wären die Marketing-Manager von Otto in den Communities aktiv, hätten sie über das Monitoring frühzeitig davon erfahren und hätten dies als Fehler in der Organisation einräumen können. So aber kam es dazu, dass, tausende Kunden den Notebook zum Schnäppchenpreis geordert haben. Damit war viel Ärger, PR-Aufwand und Kosten für den Versandhändler vorprogrammiert. Ganz zu schweigen vom Imageschaden, der dem Unternehmen durch diesen “Fauxpas” entstehen könnte.
Eine Studie vom Februar 2009, die vom E-Mailanbieter Web.de in Auftrag gegeben wurde, lieferte prompt die Ergebnisse, die den Auftraggeber in seiner Auffassung bestätigen sollte. Demnach waren Soziale Netzwerke ein überwiegend reines Jugendphänomen, da das Nutzungsinteresse, der Studie zufolge, bei den über 24-jährigen rapide nachlässt. Begründet wurde dies damit, dass bei Eintritt ins Berufs- und Familienleben, die schnelle, flache Kommunikation mit Bekannten und Kollegen unwichtig wird und an diese Stelle längere Nachrichten treten. Diese werden üblicherweise über E-Mail ausgetauscht, da soziale Netzwerke und Spontannachrichten sich hierfür nicht geeignet seien.
Die Schlussfolgerungen dieser Untersuchungen aus dem Februar 2009 lässt sich so nicht mehr aufrechterhalten. Sicherlich schrumpft durch das Wachstum der Social Media der Anteil der E-Mailkommunikation. Zwar wird sie durch die neuen Medien nicht vollständig verdrängt werden, aber ihre herausragende Position bei der Internetnutzung dürfte nicht mehr zu halten sein, zumal das Interesse älterer Nutzer an den Social Media langsam aber stetig zunimmt.
Die zögerliche Akzeptanz der Social Media in Deutschland wird sich aller Voraussicht nach bald verflüchtigen. Denn immer mehr Unternehmen wachen auf und erkennen die Bedeutung, die in diesen neuen Kommunikationsplattformen steckt. Spätestens dann, wenn weitere große Namen bekannt werden, welche die neuen Medien systematisch nutzen, dürfte der ganz große Run einsetzen. Bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen die Chancen, die sich ihnen damit bieten auch wirklich konsequent nutzen.
Tags: Deutschland, Marketing, Meinungsforschung 2.0, Social Media, Soziale Netzwerke